Berichte von 09/2014

Uni-Frust und Lebenslust

21Sept2014

Die letzte Woche war etwas anstrengend. Am Anfang noch krank, dann etwas im Lernstress, und zu guter Letzt kam die Erkenntnis, dass die Uni hier die reinste Zeitverschwendung für mich ist! Als ich am Freitag in meinem Anthropologiekurs saß (in dem ja keiner mit mir redet *Konfetti*) und darauf wartete, dass endlich der Prof reinkommt, die Klausuren austeilt, ich meinen Senf dazugeben und abhauen kann, wurde ich mit steigender Wartezeit immer genervter von alldem. Seit Unibeginn fühle ich mich wie in die Mittelstufe zurückgesetzt: mit „Lehrern“, die den „Schülern“ die Handys wegnehmen und sie – nachdem sie gelesen haben, woraus die Ablenkung bestand – vorne aufs Pult legen, gefolgt von einer 5-minütigen Predigt über Sinn und Unsinn moderner Technik wie dieser; mit „Professoren“, die jedes Mal 10-25 Minuten zu spät kommen und dann 10-25 Minuten früher gehen; und mit „Studenten“, die auch kommen und gehen, wann sie wollen, durchs Zimmer rennen und rumkreischen und die Geräuschkulisse einer Mittelstufenklasse während der großen Pause produzieren. Als der Prof meines Anthropologiekurses dann nach 30 Minuten Verspätung hereinspazierte, dann aber nochmal für 15 Minuten verschwand, um die Klausur zu kopieren (?????), wäre ich fast aufgestanden und gegangen. Nachdem er es aber dann endlich geschafft und ich die Klausur vor mir liegen hatte, tat ich, wozu ich gekommen war: ich gab meinen Senf dazu und haute nach 30 Minuten ab! Kkrrrrrhkjfzzkgkrtfkfdtzstaztkn!!!

 

Gut, dass ich nach diesem nervigen Freitag und einem eher langweiligen Samstag, an dem ich bloß am Gammeln war und Filme schaute (X-Men: check!), wenigstens am Sonntag was zu tun hatte. Ein Freund aus der Uni holte mich mittags mit seinem Auto ab und wir fuhren zusammen nach Cayma – ein Stadtteil im Norden Arequipas, wo es eine sehr schöne Aussichtsplattform gibt. Außerdem fuhren wir noch Richtung Süden aus der Stadt raus nach Sachaca, ebenfalls zu einem Aussichtspunkt auf einem hohen Turm. Für einen Sol kann man die gefühlten 100 Stufen hochsteigen und hat einen gigantischen Ausblick auf die komplette Stadt, die Berge, die Vulkane, alles! Dort oben blieben wir von 16:30 bis fast 18 Uhr… Windig und kalt, aber geilster Sonnenuntergang ever! Gut, dass ich meine Kamera eingepackt hatte :-)

Das war ein ziemlich cooler Nachmittag und ich habe mal wieder ein paar Plätze in und um Arequipa gesehen, die ich noch nicht kannte. Hat mir sehr gefallen!

Next stop: Monasterio de Santa Catalina.

Außerdem steht auf meiner Liste für die nahe Zukunft: Regenwald! Faultier, ich komme! :-)

 

Mirador Carmen Alto (Cayma) Mirador de Sachaca Emerson und ich

Cañon del Colca

08Sept2014

Tag 1, abends, 18 Uhr:

Ich weiß nicht mehr in welchem Ja-Sager-Wahn ich zugestimmt habe, für drei Tage im Colca Canyon wandern zu gehen. Ich bin gerade echt fertig mit der Welt. Ich fühle mich schlecht. Bin gestürzt und nun tut mir meine rechte Hand ziemlich weh. Ganz zu schweigen von meinen pochenden Kopfschmerzen. Und den Schmerzen in den Knien von dreieinhalb Stunden bergab gehen. Immerhin weiß ich jetzt wo meine körperlichen Grenzen liegen: ganz tief im Colca-Tal. Ich glaube, ich gehe nie wieder wandern, wenn ich das hier überstehe.

Im Moment sitze ich alleine in der kleinen Hütte der Unterkunft San Juan de Chuccho, in der Pauline, Aude und ich schlafen werden. Steinboden, mit einer Kerze an der Wand als Lampe. Aus. Ich habe vorgestern, an einem Tag, an dem es mir eigentlich gut ging, aus Neugierde Andreas Brief gelesen – „Lies mich wenn du Zweifel hast“ – oh Gott, und was für Zweifel ich gerade habe! Aber ich habe den Brief nicht mitgenommen und wünsche mir, ich hätte es getan. Ich schlafe den Nachmittag über fast nur, verscheuche meine Kopfschmerzen mit einer Aspirin. Abends gibt es Gemüsesuppe und danach Reis mir Alpaca-Fleisch. Schmeckt interessant. Um 22 Uhr liege ich im Bett, mummel mich mit zwei Pullis in die Bettdecke und schlafe bis 8 Uhr durch.

 

2. Tag:

Morgens geht es mir ganz gut, habe aber Muskelkater in Waden, Schenken, Po, Rücken… wäre wahrscheinlich einfacher, aufzuzählen, was mir nicht wehtut. Meine Hand ist ein bisschen blau geworden, ach ja…

Meine Hand zwei Tage nach dem Sturz

 

 

 

 

 

Zum Frühstück gibt es Crêpes mit Banane und Schokosoße – ein Traum! Um 9 Uhr gehen wir weiter. Wir, das sind unser Guía Ivan und unsere Gruppe bestehend aus zwölf Personen: ein Deutscher, ein Türke, zwei Französinnen, sieben Belgier und ich. Die Konsequenz daraus ist einfach: (fast) alle verständigen sich die kompletten drei Tage nur auf Fronsösiesch. Trop chaud, trop beau, oh oh.

Das erste Stück, das wir hinter uns bringen ist angenehm, danach geht es ca. 45 Minuten steil bergauf. Ich gehe leider viel zu schnell um mit den anderen mithalten zu können und bekomme irgendwann keine Luft mehr. Erinnert ihr euch noch an die Superkompensationskurve aus dem Sporttheorieunterricht? Meine liegt bei ca. -2000. Irgendwann kommt Ivan zurück, um mich „abzuholen“ oder was auch immer. Nach einer gefühlten Ewigkeit bin auch ich oben angekommen und fühle mich wie der größte Loser.

Nach einer Pause geht es weiter, der restliche Weg ist sehr schön, flach oder leicht bergab. Wir laufen durch verschiedene kleine Dörfer und sehen schon bald von weitem unsere zweite Unterkunft: Oasis Sangalle. Dort erwartet uns sogar ein Swimmingpool. Als wir dort ankommen, gibt es erst einmal leckeres Mittagessen, danach: Pool, Dusche, mir geht es gut. Abends machen wir noch ein Lagerfeuer, sitzen ein bisschen beieinander, aber das ganze Französisch hindert mich die meiste Zeit daran, mich an der Konversation zu beteiligen. Nur mit Sebastian, dem Deutschen, kann ich ein bisschen quatschen. Um 22 Uhr gehe ich ins Bett, da wir am nächsten Tag um 5 Uhr loslaufen wollen: der letzte Aufstieg, von der Oase bis auf den Gipfel, 1000 Höhenmeter, ca. 4 Stunden. Das kann ja heiter werden…

 

3. Tag:

Um 4:30 bin ich aufgestanden, um 5 Uhr waren wir vorne am Treffpunkt. Als Ivan um 5:20 immer noch nicht aufgetaucht ist, laufen wir ohne ihn im Halbdunkel los. Wir haben zwar nur so ein bisschen Ahnung wo es lang geht, aber es gibt eigentlich auch nur einen Weg nach oben. Ivan hat mir gestern Abend noch angeboten, ein Maultier für den Aufstieg zu mieten, aber ich habe dankend abgelehnt – immerhin hab ich zwei funktionierende Beine (und meinen Stolz)!

Schon nach drei Minuten bin ich aus der Puste, da helfen mir Hoan, Sebastian und Ahmet mit meinem Rucksack und ich kann weitergehen – im Schneckentempo zwar, aber irgendwann habe ich meinen Atemrhythmus gefunden und die drei Jungs warten immer wieder auf mich. Bis zur Hälfte des Weges schaffe ich es mit 4-5 kleineren Pausen, dann machen wir eine größere Pause und siehe da – Ivan kommt hinterher. Die Entschuldigung: zu viel Pisco, zu wenig Schlaf, Wecker überhört. So so, hahahaha :D

Ab jetzt wird es immer schwieriger für mich, meine Beine wollen nicht mehr so wie ich will, obwohl es mit der Atmung jetzt relativ gut klappt. Mache immer öfter Pausen, aber Ivan begleitet mich mit meinen 0,2 km/h. Um kurz nach 9 Uhr habe ich es dann geschafft. Auch ich bin tatsächlich oben angekommen. Ich bin zwar mal wieder die Letzte, aber hey – ich lebe noch! :D :))))))

Wir laufen dann noch zwanzig Minuten bis nach Cabanaconde, wo wir unsere Tour begonnen haben und wo wir jetzt Frühstück bekommen. Dann geht es mit dem Bus zwei Stunden zu den Thermalquellen, wo wir eine Stunde im warmen Wasser chillen dürfen. Nach den Aguas Calientes fahren wir nach Chivay, gehen dort auf dem Markt essen. Es gibt Rocoto Relleno (in etwa gefüllte Paprika, aber mit Fleisch und Gemüse und sehr scharf), Hähnchen, sowas wie Kartoffelgratin, Nudeln mit Käse überbacken, gebratener Reis mit Gemüse… und das alles auf einem Teller. Außerdem halten wir auf dem Weg zurück nach Arequipa noch an der höchsten Stelle des Colca-Tals an (4900 Meter), von wo aus man alle Vulkane der Region sehen kann, und im Naturschutzgebiet haben wir noch die Chance, Llamas, Alpacas, Vicuñas und Guanacos zu sehen und zu fotografieren. Danach geht es ohne weitere Stops zurück nach Arequipa, wo wir um kurz nach sechs abends ankommen, ein Taxi nehmen, heim – Dusche – Essen – Bett. Hasta la vista!

 

Fazit:

Ein wahrhaft einzigartiges Erlebnis für mich. Eine neue Erfahrung. Etwas, was ich noch nie gemacht habe. Etwas, das ich von meiner To-Do-Before-I-Die-Liste streichen kann. Etwas, worauf ich stolz sein kann. Zwischendurch mag ich mich wie die größte Versagerin gefühlt haben – immer die letzte zu sein ist ganz schön scheiße. Aber es war ja auch kein Wettkampf und wenn, dann nur einer mit mir selbst. Und den habe ich definitiv gewonnen.

Die Landschaft – und das darf hier nicht zu kurz kommen – ist atemberaubend schön! Vor allem wenn man einen guten Guide hat – danke, Ivan! – erfährt man viel über die Flora (Sancayo, Chirimoya, Tuna, Agave Americana) und Fauna, über die Menschen, die Kultur. … Und man hat noch kein richtiges Dorf gesehen, wenn man nicht durch eines dieser peruanischen Andendörfchen gelaufen ist, das maximal 80 Personen beherbergt. Es folgen nun noch ein paar Bilder, die nicht einmal im geringsten einfangen, wie groß, weit, tief und hoch die Welt war, durch die ich drei Tage gelaufen bin. Das muss man einfach selbst gesehen haben!

 

On top of the world :)So sahen die Wege oft aus - abenteuerlich!Unsere Gruppe El Oasis Sangalle von oben Am Ende, aber stolz.