Berichte von 02/2015

Der letzte Tag in Arequipa

12Feb2015

"Ich sag jetzt alles, was ich dir nie gesagt hab.

Gib mir ein' Kuss, dann bricht der letzte Tag ab."

 

 

 

Heute fliege ich also nach Hause und kann es im Moment noch gar nicht wahrhaben. Wenn ich ein Fazit dieser Zeit ziehen muss, die ich hier verbracht habe, dann muss ich tief Luft holen und gaaaaanz weit ausholen...

Peru. Es war schrecklich, es war großartig, es war abenteuerlich: die ersten fünf Wochen wollte ich nur nach Hause! Weil es mir nicht gut ging oder weil ich meine Freunde und Familie vermisste, weil ich in der Uni nur Bahnhof verstand oder weil ich einfach nur eine Heulsuse war. So bin ich eben. Ein bisschen Drama muss sein. Manchmal wünschte ich mir nichts sehnlicher als wieder zu Hause zu sein und konnte den Tag der Heimreise kaum abwarten.

Als ich mich dann endlich damit abgefunden hatte, dass ich ganz allein die Entscheidung getroffen hatte, so weit weg nach Peru zu gehen und dass ich das halbe Jahr hier sein würde, bin ich so dermaßen über mich selbst hinausgewachsen, dass ich es manchmal selbst nicht fassen kann. Die Menschen, die mir hier begegnet sind, waren bzw. sind zu gute Freunden, Tanzpartnern, Trostspendern, Reisebegleitern, Gesprächspartnern, und und und… geworden.

Wenn mir jemand gesagt hätte, was ich hier alles erleben würde – ich hätte es nicht geglaubt. Rafting, den Vulkan mit dem Fahrrad runterpacen, durch Berg und Tal wandern, drei Tage durch die Wüste, mit dem Sandboard die Dünen hinunter, zu Fuß Machu Picchu erklimmen und mit dem Rucksack durch den Regenwald… Alles Dinge, die mich sehr weit aus meiner Komfortzone herausgetragen haben. 10.000 Kilometer weit weg und mehrere tausend Meter nach oben, um genau zu sein. Wenn ich morgen wieder zu Hause bin, werde ich mit elf Flugzeugen geflogen, insgesamt gut vierzig Stunden in der Luft und etliche Stunden mehr in Bussen unterwegs gewesen sein. Ich habe während meiner Zeit hier in Südamerika meinen sonst so faulen Arsch an ein paar atemberaubende Plätze bewegt. Ich habe über 6400 Fotos gemacht; ich war sehr oft sehr glücklich, genau dort zu sein, wo ich gerade war. Es war alles in allem eine einzigartige Erfahrung, das steht fest. Ich habe gelacht, geweint, gezweifelt und viel dazu gelernt. Ich habe viel über mich selbst erfahren. Ich habe herausgefunden, dass ich mehr von der Welt sehen will. Dass ich zurückkehren will nach Südamerika und nicht nur dort hin. Ich habe herausgefunden, dass ich mutiger bin als ich dachte.

Heute ist der Tag, den ich, seit ich hier bin, am meisten gefürchtet und zugleich herbeigesehnt habe. Heute ist der Tag der Rückkehr, des Verlassens, die Aufteilung zwischen dem, was war und dem, was kommt. Die Gegenwart ist nur heute, nur in dieser Sekunde. Und diese Gegenwart verursacht in mir Angst wie auch Freude. Freude, meine Familie wieder zu sehen, meine Freunde, meine Stadt, mein Land, meinen Winter, mein Leben. Und Angst, weil ich hier meine Familie, meinen Freund, meine Stadt, mein Land, meinen Sommer, mein Leben zurücklasse. Denn Tatsache ist, dass ich jetzt zwei von allem habe. Zwei Leben, zwei Sprachen, zwei Zuhause. Peru wurde zu meiner zweiten Heimat.
Während ich hier war, hatte ich das schlimmste Heimweh meines Lebens, habe aber auch die besten Erfahrungen gesammelt und versucht, jeden einzelnen Tag zu genießen. Peru hat mir gezeigt, wie sich Traurigkeit, Neugier, Ruhe, Nervosität, Glück, Freiheit und Liebe anfühlen. Es hat mir viele erste Male beschert, viele zweite Blicke und die ewige Dankbarkeit, dass ich dies alles erleben durfte und darf. Es hat mir neue Freunde geschenkt, eine wunderbare peruanischen Familie, und eine Person insbesondere: einen tollen Kerl mit einem schönen Lächeln, einer liebevolle Seele und einem tiefgründigen Herzen: Emerson :-) Ich hätte nie gedacht, das wir all das zusammen erleben würden. Danke, Marjolaine, dass du uns „zusammengeführt“ hast. Und danke, Emerson, dass ich mich mit dir immer „safe and sound“ fühlen durfte. Und danke, dass du nie aufgehört hast, mich „zu nerven“, bis alles so kam, wie es kommen musste. Dies ist kein Lebewohl, sondern ein bis bald! ♥
Arequipa machte mich gespannt darauf, Peru noch besser kennenzulernen, mehr zu sehen. Arequipa ist eine sehr schöne Stadt, und ich habe mich hier nach der ersten Eingewöhnungsphase immer zu Hause gefühlt. Arequipa war überall, in allen Farben, hat mir Erbeben beschert, leichten und starken Regen, intensive Sonne, verrückten Straßenverkehr und Menschen, die wie Schildkröten durch die Straßen laufen. Arequipa hat mir ein wunderschönes Panorama der Vulkane und Berge geschenkt, ruhige Morgenstunden, laute Tage und wunderschöne Sonnenuntergänge. Ari quepay (Quechua: bleibt hier!), hier bin ich geblieben, für ein halbes Jahr, das sich wie eine viel zu schnell verflogene Woche anfühlte. Danke, Arequipa, dass du meine Tränen aufbewahrt, mein Lachen von deinen weißen Wänden widerhallen und mich jeden Tag meine Füße auf deinen Boden hast setzen lassen. Ich werde zurückkommen. So sicher, wie ich gerade hier bin, werde ich wieder hier zu sein.

Aber jetzt erst mal: AB NACH HAUSE! :-))